Annette Schaper Herget und Paula Simon


Von Annette Schaper-Herget und Paula Simon

Offenbach ist reich an Werbeslogans, schicken Buzzwörtern und immer neuen Marketingoffensiven: „Soul OF Hessen“, „Open Smart City“, „Future of Smart City“ oder „Open Data“ und viele mehr. Natürlich alle auf Denglisch, denn das suggeriert Moderne, Fortschritt, Digitalisierung und Geschäfte. Aber was steckt dahinter? Es gibt viel Show und Propaganda zum Thema und seit neustem auch einige Erklärvideos, an denen die Stadt, genauer, die Volkshochschule zusammen mit der Stabsstelle Digitalisierung, mitgewirkt hat. Das neuste, vom 14.02.2024, ist ein Erklärvideo für Open Data. Wer noch keine Vorstellung hat, was Open Data, also Offene Daten sind, sollte sich das Video anschauen. Es erklärt das Grundprinzip in recht einfacher Sprache.

Was sind Open Data?

Beispiele für Daten, die nicht personenbezogen sind, aber viele Leute interessieren, sind: die Daten des internen Geoportals, das die Verwaltung intern betreibt, aber bisher nicht veröffentlicht hat, Wetterdaten, Niederschläge, Mikroklima, Bevölkerungsstrukturen, die Daten aus dem Integrationsmonitoring, dem Bildungsbericht und dem Sozialbericht, Bodeneigenschaften, Luftreinhaltungsdaten, Versiegelungen, Stadtbegrünung, Kanalisation, Leitungen, Energieverbrauch, Glasfaserleitungen und -Anschlüsse, Messwerte der Wasserqualität, Bodenfeuchtigkeit, Gesundheitsdaten, Fahrgastzahlen, oder Statistiken zum Verkehr und viele mehr. Die Erhebung bzw. Messung fast aller dieser Daten sind von unseren Steuergeldern bezahlt worden. Daher gehören sie der Allgemeinheit und sollten der Bevölkerung zur Verfügung stehen.

Aber erst, wenn jeder darauf Zugriff hat und sie frei verwenden kann, sind die Daten wirklich offen. Wann kann man sie frei verwenden? Dafür muss es erstens eine offene Lizenz geben, d.h., man kann die Daten nutzen, ohne verklagt zu werden. Zweitens müssen die Daten in einem offenen Format vorliegen. Was ist ein offenes Format? Ein offenes Format kann von jedem Programm gelesen werden. Ein Beispiel ist eine simple Zeichendatei. Das Fomat einer Word-Datei ist jedoch nicht offen, denn es kann nur mit bestimmten Programmen gelesen werden. Beispiele für offene Formate sind csv, xml oder Latex. Drittens ist eine Programmierschnittstelle nötig, über die Nutzer und Nutzerinnen die Daten herunterladen können. Dann kann jeder die Daten mit der Software nutzen, die ihm passt.

Die Stadt pflegt ein eigenes Geoportal, das für die Arbeit der Verwaltung genutzt wird und 2020 der ganzen Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt worden ist. U.a. enthält es Karten zur Topologie, Leitungen, Bodenrichtwerten, Hessenforst, städtischem Grundbesitz, rechtskräftigen Bebauungsplänen, Vogelschutzgebieten, Überschwemmungsgebieten, Abflussgebieten des Mains, Landschaftsschutzgebieten, Umweltzonen und mehr. Leider ist es nicht öffentlich. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass dieses Geoportal auch ins Internet gestellt werden solle, aber das ist bis heute, vier Jahre später, immer noch nicht passiert. Diese Daten sind in Offenbach also nicht offen, sondern noch Amtsgeheimnis.

Wofür werden offene Daten gebraucht?

Alle diese Daten sind interessant sowohl für Bürger als auch für Unternehmen, die hier angesiedelt sind oder sich hier ansiedeln wollen. Ein Open-Data-Portal würde die Demokratie und Mitbestimmung in Offenbach wieder glaubwürdiger machen, weil die Bürger nicht mehr wie bisher – oft vergeblich – hinter Informationen herlaufen müssten. Sie würde den Verwaltungsaufwand stark vereinfachen, weil alle das Portal nutzen würden und nicht mehr einzelne Abteilungen ihre Daten für sich behalten. Journalistinnen könnten schneller recherchieren und würden weniger Zeit für Recherchen benötigen. Aktivitäten der Zivilgesellschaft würden erleichtert.

Und nicht zuletzt: Auch Stadtverordnete hätten es leichter: Wir hatten über eine Bademöglichkeit im Hafenbecken nachgedacht und einen Antrag gestellt, dafür die Wasserqualität zu messen. Vorher hatten wir natürlich recherchiert, ob solche Daten schon veröffentlicht waren, aber nichts gefunden. Es stellte sich heraus, dass klammheimlich solche Messungen und auch Planungen für eine Bademöglichkeit längst stattfinden. Daraufhin haben wir den Antrag zurückgezogen. Unsere ganze Mühe und auch die der Kolleginnen und Kollegen sowie der Zuständigen in der Verwaltung, die sich mit dem Thema befasst hatten, war völlig unnötig gewesen. Wenn wir diese Daten im Internet gefunden hätten, hätte es uns allen viel Zeit und Arbeit erspart. Nachzulesen ist diese Geschichte hier.

Auch unsere neuste Anfrage wäre wahrscheinlich obsolet, wenn Daten einfach veröffentlicht würden: Wir interessieren uns darin für Wohnraum in Offenbach, verfügbare Bauflächen und Sozialwohnungen. Schon öfters haben uns Vertreter und Vertreterinnen der Koa vorgeworfen, wir würden mit unseren Anfragen die Verwaltung lahmlegen. Mit einem Open Data-Portal könnte man der Arbeitsüberlastung zumindest etwas abhelfen.

Die Bertelsmann-Stiftung hat in einer Studie mit umfangreichen Umfragen die Chancen und Risiken für Kommunen untersucht, die diese Überlegungen bestätigen.

Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, Open Data in Kommunen, 2020, S. 7, https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Smart_Country/AK_OpenData_inK_4_2020.pdf


Nachteile von Open Data

Warum gibt es immer noch kein Open Data-Portal, obwohl es doch für die Nutzer von offenen Daten nur Vorteile gibt? Warum sind immer noch viele Leute dagegen? Um das zu verstehen, muss man sich in viele Entscheidungsträger und Chefs hineinversetzen, für die sich die Sicht darauf anders darstellt. Je aufgeklärter die Bürger und Bürgerinnen, Stadtverordnete und Journalistinnen sind, desto besser verstehen sie die Vorgänge in der Kommunalpolitik und ihre Hintergründe und desto schwieriger wird es für die Entscheider, Legenden aufrechtzuerhalten, welche sie manchmal für die Durchsetzung ihrer Interessen für nötig halten. Skeptische Leute fangen womöglich an, eine schöne Show zu hinterfragen. Mit anderen Worten: Wissen ist Macht, und wenn man das Wissen teilt, teilt man die Macht. Deshalb ist es für sie von Interesse, dass Außenstehende möglichst wenig wissen. Dies hat schon der Soziologe Max Weber vor 100 Jahren beobachtet:



Den Einwand, dass die Technik zur Bereitstellung der Daten so neu oder so aufwendig sei, lassen wir nicht gelten: Offene Daten gibt es seit Beginn des Computerzeitalters. Sie sind einfacher zu handhaben als proprietäre Formate. Auch offene Datenbanken gibt es schon lange. Ein Open-Data-Portal wurde schon 2012 von der damaligen Piratenfraktion beantragt, ist jedoch nie realisiert worden.


Die Gesetzeslage und Unklarheiten

Ganz so einfach ist es aber trotzdem nicht. Denn es gibt eine Vielzahl von Richtlinien und Gesetzen, sowohl auf EU- und Bundes- als auch auf Landesebene. Sie sollen alle dazu dienen, die Daten und die Ansprüche zu vereinheitlichen und die Zusammenarbeit zu erleichtern. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Kommunen, leider aber auch Überforderungen.

Eine öffentliche Toilette in Offenbach

Da ist z.B. die EU-Verordnung Durchführungsverordnung zur Festlegung bestimmter hochwertiger Datensätze und der Modalitäten ihrer Veröffentlichung und Weiterverwendung. Bis zum 9. Juni 2024 müssen die Kommunen eine Reihe „hochwertiger“ Datensätze öffentlich zur Verfügung stellen. Die Kategorien dieser Daten findet man hier. Die Verordnung regelt auch die Schnittstellen und die Metadaten (die einen Datensatz beschreiben und katalogisieren). Damit soll Einheitlichkeit gewährleistet werden. Ein Beispiel soll dies illustrieren: Datensätze zum Thema „öffentliche Toiletten“ heißen in Düsseldorf „Standorte öffentlicher Toiletten Düsseldorf“, aber in Köln „Stadt Köln: Oeffentliche Toiletten Koeln.“ (aus: „Das Open-Data Angebot wächst, aber nicht in der Breite“, von Helen Bielawa, Tagesspiegel 03.05.2022). Die einheitliche Kategorie wäre „Infrastruktur – Öffentliche Toiletten“. (In Offenbach wäre dieser Datensatz leider sehr klein.)

Einheitliche und vergleichbare Datensätze aus vielen Kommunen sollen in übergeordneten Verzeichnissen verwaltet werden. Hierfür betreibt die Bundesregierung das Portal Govdata, das auf alle Datensätze aus Ländern und Kommunen verweisen soll. Unklarheiten gibt es jedoch auch bei der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Sollen die Kommunen alle selber hosten? Oder soll es auch auf Landesebene gemeinsame Datenbanken geben?

Viele Kommunen sind überfordert, und es ist abzusehen, dass der Stichtag 9. Juni der EU-Verordnung bei weitem nicht erreicht werden wird. Den Kommunen fehlt das technische Knowhow, es gibt noch viele Unklarheiten über die Vorgaben, es gibt auch keine Beispieldatensätze und auch rechtliche Unsicherheiten: Müssen alle Daten, die die Kommunen bereitstellen, den Anforderungen genügen? Was ist, wenn sie erst mal überhaupt die Daten veröffentlichen, die sie haben, obwohl diese die Kriterien noch nicht erfüllen? Die jetzt vorherrschende Meinung ist allerdings, dass das besser als nichts ist.

Wir befürchten, dass die EU-Verordnung nach hinten losgehen wird und sich viele Kommunen nicht trauen werden, überhaupt Daten zu veröffentlichen. Wir befürchten auch, wissen es aber nicht, ob auch Offenbach zu diesen Kommunen gehören wird. Leider sind die Vorgänge hinter den verschlossenen Türen und vorgehaltenen Löschblättern absolut intransparent. Wir wissen nicht, wie weit die Bemühungen der Stabsstelle Digitalisierung und ihres Chefs, des Oberbürgermeisters, gediehen sind und welche Entscheidungen getroffen werden. Hat man vor, auch schon mal Daten zu veröffentlichen, die der EU-Verordnung noch nicht genügen? Bei so wichtigen politischen Entscheidungen, die die Verwaltung überfordern, zu denen der Magistrat keine Expertise hat und die ja auch Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Offenbach haben, sollte ein Beirat mit Expertinnen und Vertretern der Stadtgesellschaft zu Rate gezogen werden. Wir haben einen solchen schon vor zwei Jahren beantragt, aber leider wurde der Antrag abgelehnt, nachzulesen hier.



Datensilos, Bürokratie und konservative Trägheit

Datensilos können ihre Daten schlecht untereinander austauschen.

Das Problem der Verwaltung nicht nur in Offenbach, sondern in vielen Kommunen rührt letztlich auch von konservativer Trägheit. Es gibt gewachsene bürokratische Strukturen und Gewohnheiten. Jedes Amt hat seine eigenen Mechanismen. Und die verwendete Software und Datensammlungen unterscheiden sich von Amt zu Amt und sind nicht austauschbar, weil sie nicht in offenen Formaten vorliegen. Man nennt solche inkompatiblen Datensammlungen Datensilos. In Offenbach gibt es mindestens zwei inkompatible Systeme: Das, welches die Verwaltung nutzt und das der städtischen Gesellschaften. Wir wissen nicht, ob das so bleiben wird oder ob es durch ein gemeinsames System ersetzt werden wird. Jedenfalls können wir uns vorstellen, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Lust und auch Ängste haben, ihre Gewohnheiten aufzugeben und neu zu lernen. So bleiben die Vorgänge rückständig und so ist ein einfacher Datenaustausch kaum möglich, und erst recht nicht die Bereitstellung offener Daten.

Und: Die DSGVO ist nicht schuld, obwohl das gern behauptet wird. Sie erlaubt bei berechtigtem Interesse den Austausch von personenbezogenen Daten zwischen verschiedenern Ämtern.

Was hat Ofa bisher gemacht?

In der Sitzung vom 07.06.2022 haben wir die Einrichtung eines Open-Data-Portals beantragt. Dieser Antrag wurde abgelehnt, mit der Begründung, dass man das doch schon mache. (Die Logik haben wir bis heute nicht kapiert, denn bei den Anträgen der Koa geht es genauso um Dinge, die man schon macht, aber die Koa-Anträge werden angenommen). Die Koa durfte sich für einen Änderungsantrag von der Stabsstelle Digitalisierung beraten lassen, wir nicht. Wir dürfen mit der Stabsstelle nicht reden. Der Grund ist, dass Herr OB Schwenke zu uns kein Vertrauen hat, im Gegensatz zur Koa. Egal, hier kann man den Bericht über diese Sitzung nachlesen.

Allerdings ist bis heute tatsächlich nichts passiert, obwohl es mehrere Ankündigungen und Werbeshows gab. Angeblich sollte noch im Dezember 2023 ein Portal veröffentlicht werden. Wir haben daher eine Anfrage gestellt, nicht nur zum Open-Data-Portal, sondern auch zur Smart-City-Strategie der Stadt, zu der wir bis vor kurzem kaum Infos, sondern nur Beispiele gefunden hatten: Open-Data-Portal und Open-Smart-City-Strategie. Unsere vierte Frage daraus lautet: „Gibt es eine Digital“strategie“ im ursprünglichen Sinn dieses Begriffs, also Formulierungen von mess- und greifbaren Zielen, einer Vision, von Grundsätzen und des Vorgehens um die Ziele zu erreichen?“ Und siehe da, kurz nachdem wir die Anfrage abgeschickt hatten, wurde eine Seite zur Strategie online gestellt, in der diese Frage abgearbeitet wird. Das freut uns natürlich, und das kennen wir schon, dass manchmal etwas schnell passiert aufgrund unserer Anfragen. So hat die Anfrage schon mal etwas bewirkt. Auf der Seite steht: „Stand: November 2023“. Mag sein, online ist die Seite aber noch nicht sehr lange.

Entscheidungen und Weichenstellungen zu einem Open-Data-Portal und einer Smart-City-Strategie sind nicht nur Verwaltungshandeln. Sie sind Kommunalpolitik! Ist das noch Demokratie, wenn die Opposition dabei systematisch von allen Informationen abgeschnitten wird?


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