Von Annette Schaper-Herget

In Offenbach ist die Wahlbeteiligung schon immer niedrig gewesen. Und die letzten Wahlen zeigen, dass sie noch weiter sinkt. Die Wahlbeteiligung bei der OB-Wahl 2023 lag bei 26%, das ist ein Alarmzeichen für die Zukunft unserer Demokratie, die von Vertrauen lebt. Das ist nicht nur in Offenbach so, sondern auch in anderen Kommunen. Es macht sich Demokratiemüdigkeit breit. Und nicht nur das, die Rechten Gruppen erstarken.

Rechtspopulisten nutzen die Wahlmüdigkeit aus

Ist es nicht unfassbar, dass Populisten Lügen und Halbwahrheiten heraushauen und so viele und immer mehr Zuhörer finden, die ihnen das abnehmen? Es gibt eine Sorte von gewissenhaften Journalistinnen und Journalisten, die Fakten überprüfen und veröffentlichen, aber sie erreichen gerade diejenigen nicht, die empfänglich für Populismus sind. Das sind die, die sich von unserer komplexen Welt überfordert fühlen und die lieber nur einfache Wahrheiten hören wollen. Sie fallen daher auf den Populismus der Rechten rein. Es gibt natürlich auch Journalisten, die weniger gewissenhaft sind, keine Recherche machen und nicht zwischen Fakten und persönlicher Meinung unterscheiden können oder wollen. „Ich mache mir meine Story doch nicht durch Recherche kaputt“. Diese finden bei Leichtgläubigen oft Gehör und machen die Aufklärung noch schwieriger.

Es gibt einen kleinen unverbesserlichen Prozentsatz von Leuten, die schon immer rechtsradikale Einstellungen hatten. Nur hatten sie sich früher nicht getraut, diese zu zeigen. Nun kommen sie aus ihren Löchern. Das sind diejenigen, an die man kaum herankommt.

Aber ein großer Anteil der Leute, die AFD gewählt haben, teilen diese Einstellungen eigentlich nicht so. Sie haben Abstiegsängste, sind wütend, und sie wollen der Regierung einen Denkzettel verpassen.

Die AFD, wie auch die Rechten in vielen anderen Ländern, bestärkt sie in ihrem Gefühl, Opfer zu sein. Sie verspricht ihnen eine starke Führung, die es denen, die „schuld sind“, zeigen wird. In den USA ist das berühmteste Beispiel Trumps „Make America great again!“. Ihrer Erzählung nach könnte alles so einfach sein, wenn es da nicht die „anderen“ gebe: Schmarotzer und Verschwörer, die brave Bürger ausnützen und benachteiligen! Diese Erzählung ist so viel einfacher als die Wahrheit, die ja auch wirklich unangenehm ist: Neue Kriege, neue Machtverhältnisse, der Klimawandel, Streit um Maßnahmen, wirtschaftliche Umbrüche, Migration und ihre Ursachen, ungehemmt wachsende Bürokratie und vieles mehr! Die Leute haben Ängste und fürchten den Kontrollverlust. Schon aus Überforderung von der Komplexität der Realität glauben viele schlichte Gemüter lieber den Lügen und simplen Vereinfachungen und winken ab bei komplexeren Erklärungen. Fakten nehmen sie nur noch als Meinung wahr. Kritisch hinterfragen ist nicht mehr notwendig. Denn es ist eine emotionale Anstrengung, sich mit Komplexität zu beschäftigen, vor allem, wenn es keine schnellen Lösungen gibt. Da delegieren viele Leute das Denken gern an die, die populistische Slogans raushauen und Stärke markieren. Diese Haltung ist zwar verständlich und sehr häufig anzutreffen, aber sie ist im Wesenskern undemokratisch und gefährlich. Denn sie ruft nach einem starken Mann (Frau eher nicht so), der die Probleme lösen soll und den eigenen Minderwertigkeitskomplex durch die Großartigkeit der eigenen Gruppe ersetzen soll

Ein berühmtes Beispiel aus der Literatur ist Donald Duck, der vom Autor Grobian Gans in seinem Buch „Die Ducks. Psychogramm einer Sippe“ (1970) charakterisiert wird als „faschistoider Kleinbürger“, der das Gefühl hat, immer zu kurz gekommen zu sein, und doch so gerne großartig wäre.

Neben den AFD-Wählern gibt es Leute, die nicht mehr an die Demokratie glauben und deshalb gar nicht mehr wählen gehen. Die Wahlbeteiligung sinkt jedes Mal, und das ist ein Alarmzeichen, das man nicht ignorieren darf! Auch die Nichtwähler sind frustriert, oft aus ähnlichen Gründen wie die Protestwähler.

Was kann man tun, um unsere Demokratie wieder zu stärken?

1. Man kann aufklären und entlarven, und das passiert ja auch. Zuallererst ist da die Gruppe der gewissehaften Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen, recherchieren und berichten. Aber wie gesagt, sie erreichen nur die Falschen.

2. Man kann daran erinnern, dass eine Demokratie ein historischer Glücksfall ist, um den uns Dissidenten in vielen totalitären Staaten beneiden. Und dass sie in vielen Ländern, auch in Europa, in Gefahr ist. Aber was ist eigentlich Demokratie? Das interessiert die Wenigsten, und viele verwechseln sie mit Machtabgabe an die, die dann regieren. Man sollte sich wieder die Mühe machen, den Wert der Demokratie zu erklären. Aber, erreicht man damit die Nichtwählerinnen oder gar die AFD-Wähler?

3. Man kann die Ergebnisse der Journalisten mit Kampagnen bekannter machen. Eine besonders großartige ist diese: AFDnee (z.B. https://afdnee.de/material/) des Frankfurter Vereins für demokratische Bildung und Kultur (Demokult e.V.). Sie zeigt auf, dass die eigentlichen Leidtragenden der Politik einer AFD-Regierung ihre eigenen Wähler und Wählerinnen wären. Aber ob sie die erreichen, für die sie gemacht sind?

4. Man kann sich abgrenzen. Es gibt Situationen, in denen das Mut erfordert, aber meistens ist man unter sich und erntet nur Applaus von Gleichgesinnten. Das befördert letztlich nur das Lagerdenken: Wir sind die Guten, die anderen die Bösen. Damit erreicht man niemanden und bestärkt nur die eigene Blase. Beide Seiten triggern sich gegenseitig mit Reizwörtern und hören nicht mehr zu.

Satire von Titanic auf Xtwitter

5. Man kann seinen eigenen Frust durch Sarkasmus und Satire ablassen. Das ist gut für das eigene Wohlbefinden und erheitert ähnlich denkende Mitmenschen. Vielleicht triggert man jemanden, der noch mal nachdenkt? Den Applaus findet man trotzdem nur bei den Gleichgesinnten.

6. Man kann genauer zuhören: einmal denen, die nicht mehr wählen gehen und dann auch denen, die mit der AFD liebäugeln. Einige Antworten, die viele von uns schon gehört haben und die nicht gerade primitiv rassistisch, faschistisch oder verschwörungsideologisch sind, sollte man sich doch mal durch den Kopf gehen lassen.

Verlorenes Vertrauen in die Demokratie

Auf diese Antworten vieler Nichtwähler gehen wir mal genauer ein: Warum gehen Leute nicht mehr zur Wahl? Hierzu gibt es bereits Studien, Umfragen und Artikel (NDR, Fluter (Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung), Watson (Blog), und die in einem Wikipedia-Artikel zitierten Studien: Wikipedia)

Wir habe einige Antworten aus diesen Veröffentlichungen herausgegriffen, die wir ernsthaft überdenken sollten. Sie gehören in die Kategorie „Verlorenes Vertrauen“. Ohne Vertrauen ist unsere Demokratie ernsthaft in Gefahr, und die Gruppe der Nichtwähler steigt von Jahr zu Jahr. Wir müssen befürchten, den Kampf um die Herzen dieser Leute zu verlieren, wenn wir sie nicht ernst nehmen.

Unsere Erfahrungen – Was ist dran am Vertrauensverlust der Nichtwähler?

Haben die Nichtwähler irgendwie recht? Man könnte ihnen zurufen, doch selbst in die Politik zu gehen, wenn sie so unzufrieden mit den Politikern sind. Nun, wir von Ofa haben genau das gemacht. Wir wollen es anders machen, sind sehr fleißig, stellen viele Anträge und Anfragen, Reden mit Bürgern und Bürgerinnen. Da muss man doch was bewirken können, oder?

Aber manchmal beschleicht uns in unserer Arbeit ein ähnliches Gefühl der Ohnmacht, wie wir es von Nichtwählern hören: Egal, was wir machen, wir kommen nicht durch. Wir lesen die Anträge, recherchieren dazu Hintergründe und bilden uns daraus eine Meinung. Wir schreiben eigene Anträge, aber die Mehrheit der Koa steht eisern. Sie gönnt der Opposition nichts. Ob ein Antrag gut ist, interessiert nicht, wenn er von der Opposition kommt. Argumente interessieren die Koa-Kolleginnen nicht. Wie wir abstimmen, ist egal. Es kann vorkommen, dass die Koa an anderer Stelle einen Änderungsantrag stellt, der genau einer unserer Anträge ist, wir nennen das Anragsklau. Aber dann reklamieren sie den Verdienst für sich. Wenn wir nichts machen würden, wäre es auch egal, letztlich kommt das Gleiche dabei raus.

Wir bekommen auch nicht die Informationen, die wir gerne hätten. Ein Beispiel sind Informationen über die Arbeit der Stabsstelle Digitalisierung, die nur die Kollegen und Kolleginnen der Koa bekommen, wir jedoch nicht, weil der Herr Oberbürgermeister kein Vertrauen zu uns hat, wie er in einer Ausschusssitzung begründete (siehe Gegenseitiges Vertrauen und Gerechtigkeit). Aber Herr Dezernent Weiss fordert, dass wir doch mal Vertrauen in die hervorragende Arbeit der Verwaltung haben sollen, statt immer so viele Anfragen zu stellen (siehe die Debatte zu Stromanschlüssen für Stinkschiffe).

Stadtverordnete dürfen nicht direkt mit der Verwaltung reden, aber auch da sind manche gleicher als andere. Es ist schon vorgekommen, dass Verwaltungsmitarbeiter in unserem Beisein zu Kolleginnen aus der Koa sagten, man solle doch erst mit ihnen reden, bevor man Anträge zu ihrem Bereich stellt. Auf unsere Frage: „Gilt das auch für uns, die Opposition?“ kam dann nur: „Ich sage jetzt gar nichts mehr.“ Sie hatten uns für Koa-Mitglieder gehalten.

Bei einer Ausschusssitzung wurde gejammert, dass es so schwierig sei, Stellen in der IT zu besetzen. Auf unsere Frage, wo wir denn die Ausschreibungen dafür finden, weil wir viele IT-Fachleute kennen, kam promt ein Ausruf eines SPD-Kollegen: „Nur keine U-Boote, nur keine U-Boote!“ Verwaltungsstellen werden nämlich gern nach Parteibuch besetzt.

Ratschläge, die wir von verschiedener Seite bekommen, sind:

Mit anderen Worten: wir sollen schön lieb sein und uns möglichst bei der Obrigkeit einschleimen, dann würde man uns vielleicht ein wenig Mitmachen gönnen. Der gute König meint es doch gut!

Das Schlimme ist, an diesen Ratschlägen ist etwas dran! In der Sache erreicht man in Offenbach mit „Hinterzimmermethoden“, also mit Lobbyarbeit, oft viel mehr als mit öffentlich sichtbarer Opposition. Jeder, der ein Anliegen hat, versucht sich in Lobbymethoden. Auch im OB-Wahlkampf lobte OB Schwenke sein Hinterzimmer: Firmen, die irgendwo Schwierigkeiten sähen, sollen sich nur vertrauensvoll an ihn wenden, er regele das dann schon (In der Fragerunde der Podiumsdiskussion in der Alten Schlosserei, veranstaltet von der Offenbach-Post). So hat es seinerzeit auch der Alte Fritz gehandhabt.

Aber ist das noch Demokratie? Wenn wir Infos, die uns zustehen, nur bekommen, wenn wir uns einschleimen und das Vertrauen des Scheffs verdienen? Wenn nicht die Argumente zählen, sondern nur die Arroganz der Macht? Wenn Entscheidungen im Hinterzimmer festgelegt werden und die Stadtverordnetenversammlung dann nur noch die Quasselbude ist? Wenn man nur dann „professionell“ ist, wenn man die Lobbyisten-Methoden akzeptiert und mitmacht? Wir haben es also mit einer zu einer Oligarchie degenerierten Demokratie zu tun. Wolfgang Koschnik spricht sogar von einer „milden Funktionärsdiktatur„! Immerhin können ehrgeizige junge Leute versuchen, sich hochzudienen und eine Parteikarriere zu machen. Irgendwann ergattern sie die ersten Posten, steigen auf, und vielleicht gehören sie dann auch eines Tages zum inneren Chefzirkel, Entscheidungskartell, Politseilschaft, oder Zentralkomitee, oder wie immer man das nennen mag. Es gibt ja auch Mitmenschen, die diesen Zustand explizit richtig finden und wählen gehen, für den Machterhalt ihrer Lieblingspartei.

Warum gehen Leute in die Politik? Werden sie ihre Vorstellungen verwirklichen?

Die Opposition darf bei uns wenigstens öffentlich schimpfen, ohne Angst haben zu müssen. Das ist schon viel besser als in manchen totalitären Diktaturen, in denen Kritiker im Knast landen, aus dem Fenster fallen oder vergiftet werden. Das wissen wir zu schätzen! Noch mehr, darüber sind wir froh, denn das ist schon eine Errungenschaft, wenn man sich unsere deutsche Geschichte anschaut! Und wir hoffen, dass das auch nach Wahlen in der Zukunft so bleiben wird! Die Kolleginnen und Kollegen in den Koa-Fraktionen dürfen nicht mal das, sie können nur hinter verschlossen Türen versuchen, bei ihren eigenen Leuten etwas durchzusetzen. Mit öffentlich sichtbarer Opposition würden sie nur ihre Parteikarriere ruinieren.

So ergeht es also der Opposition und den Koa-Stadtverordneten auf den hinteren Plätzen. Den Bürgern und Bürgerinnen geht es nicht besser. Sie erfahren von vielen Dingen erst, wenn sie schon entschieden sind. Es gibt zwar manchmal Bürgerbeteiligung, nämlich immer, wenn die Bewilligung von Fördermitteln das zur Bedingung macht, aber auch mit Bürgerbeteiligung ist der Einfluss minimal. Viele Leute merken das und verlieren ihr Vertrauen in Wahlen.

Fraktionszwang killt die Demokratie

Das ist natürlich nicht nur in Offenbach so, sondern auch in anderen Kommunen, in Landesparlamenten, und im Bundestag, und auch in vielen anderen Ländern. Wir von Ofa sind auch nicht die ersten, die sich über sterbende Demokratie beschweren. Hierzu empfehlen wir diese Analyse von Wolfgang Koschnik, der sich mit dem Fraktionszwang im Bundestag beschäftigt hat (Heise online, Januar 2019): Volksparteien: Selbsttötung per Fraktionszwang. Ja, liebe Parteien, wir nennen es wie Koschnik Fraktionszwang und nicht Fraktionsdisziplin, denn für Abweichler gibt es viele Sanktionen.

Er führt vor, dass unsere Demokratie an den im Laufe der Jahre gewachsenen Strukturen krankt. Ein Krebsgeschwür dieser Krankheit ist der Fraktionszwang. Zwar steht im Grundgesetz (Artikel 38), dass Abgeordnete keinen Weisungen unterworfen sind und nur ihrem Gewissen verantwortlich. Die Praxis sieht anders aus: Auch die Bundestagsmitglieder wollen Karriere machen. 99% aller Abstimmungen sind einmütig. Es gibt dann schon mal mehrere „Probeabstimmungen“; weil man keine Niederlage riskieren will. Diese dienen laut Koschnik vor allem dazu, renitente Fraktionsmitglieder zu disziplinieren. Die bloße symbolische Fraktionsgeschlossenheit habe eine größere Bedeutung als eine ehrliche satte Mehrheit. Man wolle nach außen ein Bild der totalen Geschlossenheit der eigenen Fraktionen transportieren. „Man könnte fast von einer Art des demokratischen Stalinismus sprechen.“ Die wichtigste Eigenschaft eines Abgeordneten sei sein Gehorsam, Kompetenz ist nachrangig, Unabhängigkeit unerwünscht.

Das Parlament verzichtet in seiner Mehrheit freiwillig und ohne wirkliche Not auf seine vornehmste und angeblich wichtigste Aufgabe, die Kontrolle der Regierung, und überlässt das lieber der Opposition. Doch die ist machtlos und kann eigentlich nur wirkungslos schimpfen. Der parlamentarische Tiger hat keine Zähne, und die Opposition ist nur ein kleiner Rohrspatz …“ Wolfgang Koschnik

Hier ist ein Zitat des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim 1994, das sich auch auf kommunale Stadtverordnetenversammlungen anwenden lässt (aus Koschnik):

„Parlamentsmehrheit und Regierung bilden heute in der Praxis eine parteipolitische Einheit, weil die Wiederwahl der Mitglieder der Mehrheitsfraktion wesentlich vom Erfolg der Regierung abhängt. Dieser parteipolitische Monismus bewirkt, dass regelmäßig nur die Opposition wirklich kontrolliert. Sie ist aber in der Minderheit und kann deshalb keine Sanktionen gegen die Regierung und ihre Mehrheit im Parlament beschließen. Es besteht also die missliche Situation, dass die Mehrheit des Parlaments die Regierung zwar kontrollieren könnte, dies aber nicht will, während die Opposition die Regierung kontrollieren will, dies aber – mangels der Mehrheit im Parlament – nicht wirksam tun kann. Ohne wirkliche Gewaltenteilung hängt die Kontrolle, die auf das Gegeneinander von Parlament und Regierung hin konzipiert ist und deshalb Mehrheitsbeschlüsse des Parlaments verlangt, weitgehend in der Luft.“ Hans Herbert von Arnim

Fraktionsdisziplin oder -zwang ist eine Entscheidungsfindung von oben nach unten, nicht umgekehrt, wie es für eine Demokratie richtig wäre. Die Parteien setzen damit das im Grundgesetz verankerte Verfassungsrecht der Abgeordneten außer Kraft. Das Studieren von Anträgen und Hintergründen erübrigt sich dann, denn das Abstimmungsverhalten wird ihnen ja sowieso vorgegeben. Abgeordnete sind nur Stimmvieh. Dies führt dazu, dass manche Gesetze nur sehr unzureichend und schlampig vorbereitet werden, weil es keine Korrektur von unten gibt. Denn die abstimmenden Abgeordneten müssen den Stoff gar nicht verstehen.

„Im Kinderglauben an das Funktionieren der Demokratie geht alle Macht vom Volke aus, das seine Abgeordneten in die Parlamente wählt. Und die Parlamente bestimmen die Zusammensetzung der Regierung und kontrollieren deren Tun. In Wahrheit laufen die Entscheidungen in umgekehrter Richtung: Alle Entscheidungsprozesse in Parlamenten finden von oben nach unten statt. Dafür sorgen die Fraktionsspitzen. Die gelebte Demokratie in den Parlamenten ist tot. Sie hat sich selbst gemeuchelt.“ Koschnik

Mit demokratischer Willensbildung haben diese Vorgänge nichts mehr zu tun. Wir haben ja schon öfter den Eindruck gewonnen, dass es sich auch in unserer Stadtverordnetenversammlung nur um eine Demokratiesimulation handelt. Beispiele für unsere Berichte, in denen dieser Begriff explizit auftaucht, sind:

Es sind noch viel mehr Vorgänge, dies ist nur eine kleine Auswahl. Wir haben jetzt viel über die schädlichen Auswirkungen des Fraktionszwangs auf die Demokratie geredet. Es gibt noch weitere schädliche Mechanismen, darunter intransparenter Lobbyismus, der Verlust der politischen Wertegemeinschaften oder die verschwundene politische Leidenschaft der Gewählten. Darauf werden wir demnächst in anderen Beiträgen eingehen.

Und nun?

Wir haben festgestellt:

Tatsächlich ist es vielen Politikerinnen und Politikern egal, wenn die Wahlbeteiligung sinkt, denn es kommt ihnen nur auf die eigene Mehrheit an. Die Nichtwähler sind ihnen in bestimmten Konstellationen sogar recht, wenn dadurch ihre eigene Mehrheit größer wird und lästige Gegenstimmen wegfallen. Auch gibt es Wähler und Wählerinnen, die die „milde Diktatur der Funktionäre“ gerade gut und richtig finden. Bürgerbeteiligung und mehr Einfluss der Opposition finden sie zu anstrengend. Wenn man sagt, dass dies dann aber keine Demokratie mehr sei, sind sie empört, denn sie haben sich doch klar gegen Nazis und gegen die AFD positioniert. Da liegt aber eine Verwechslung vor: Gelebte Demokratie ist mehr als nur Opposition gegen Rechtsaußen.

Wenn wir die Demokratie retten wollen, reicht die Beteuerung, dass wir den Populismus der AFD ablehnen, eben nicht aus. Auch reicht es nicht, die rechten Pseudo“argumente“ zu entlarven, obwohl das notwendig ist und schon passiert, und zwar oft sehr gut. Aber diese Strategien gegen Rechtspopulismus haben trotzdem keinen Erfolg. Wir brauchen eine Erneuerung der Demokratie, um wieder Vertrauen zu schaffen.

Es sind daher grundsätzliche Veränderungen notwendig. Politik muss viel transparenter werden! Die Bürger müssen verkrustete Strukturen hinterfragen und ändern. Das freie Mandat muss neue Wertschätzung bekommen, das Abstimmverhalten darf nicht nur dem Machterhalt dienen. Wir müssen also den Fraktionszwang loswerden und nur nach Wissen und Gewissen abstimmen. Wir brauchen ein Lobbyregister auch auf kommunaler Ebene (siehe auch https://www.lobbycontrol.de/). Und wir brauchen integre Politiker, denen es nicht um die Machterhaltung geht, sondern die mit Leidenschaft und Herzblut ihre Ziele verfolgen, statt nur zu taktieren! Nur dann können Appelle an freiheitliche Ziele fruchten. Wenn wir die Idee einer Demokratie nicht selbst ernst nehmen und die Strukturen nicht radikal ändern, verlieren wir die Herzen und Köpfe an die Rechten, die unsere demokratischen Werte untergraben wollen.

Haben wir den Schuss gehört? Die letzten Wahlergebnisse sind eine der letzten Warnungen.


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2 Antworten

  1. Wenn man in den Parlamenten statt offen abzustimmen eine geheime Abstimmung durchführte wäre das mit der Fraktionsdisziplin schon mal erledigt.
    Jeder Stimmberechtigte könnte einfach seine wirkliche, unabhängige Meinung zu dem Thema abgeben und keiner brauchte mit Repressalien zu rechnen.
    Ich bin davon überzeugt, so mancher Beschluss auf einen Antrag hätte ein anderes Ergebnis erfahren wie es im Protokoll festgehalten wurde.

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